Elend oder FALAK? Genau dort liegt der Knackpunkt!

FALAK

Unter Iranern kursiert ein bekanntes Sprichwort: „Wenn du in einem Multiple-Choice-Test jede Antwort zufällig ankreuzen möchtest und trotzdem sicherstellen willst, dass alle deine Antworten falsch sind, um den letzten Platz zu belegen, dann musst du die richtigen Antworten kennen.“ Ebenso lässt sich die Verwüstung Irans nicht bloß auf Missmanagement zurückführen; vielmehr liegt die Ursache in der gezielten Schaffung eines absichtlichen Feindes, der bewusst und mit Vorsatz handelt.

Der wirtschaftliche „Elendsindex“, definiert als die Summe aus Arbeitslosen- und Inflations-rate, offenbart das erschütternde Ausmaß der Krise. Die Islamische Republik, belastet von einer kriminellen Vergangenheit und dem vollen Bewusstsein über ihre desaströse Lage in allen Bereichen, bedient sich systematisch der Manipulation von Zahlen und der Verdrehung von Begriffen, um die Realität zu verschleiern und sich Zeit für ihren fortwährenden Machterhalt zu erkaufen.

Im Bereich der Arbeitslosigkeit hat das Regime eine neue Definition für „Beschäftigte“ eingeführt, um die Arbeitslosenquote künstlich zu senken. So werden Schüler, Auszubildende und selbst Wehrpflichtige als Erwerbstätige erfasst, während auch Scheinarbeitsplätze offiziell anerkannt werden. Auf diese Weise entstehen manipulierte Statistiken, die die Arbeitslosigkeit niedriger erscheinen lassen, als sie tatsächlich ist. Diese bewusste Verzerrung der Begriffe gehört zu den typischen Methoden des Regimes. Doch die Mehrheit der Bevölkerung in Iran durchschauen diese Täuschung längst und wissen, dass die offiziellen Zahlen der Regierung nichts mit der Realität zu tun haben. Die slamische Republik ähnelt in diesem Verhalten einem Fußball-trainer, dessen Mannschaft mit 0:5 verliert, der aber bei der Pressekonferenz ernsthaft verkündet, dass das Spiel bis zur 15. Minute unentschieden stand.

Ähnlich irreführend präsentiert das Regime die Inflationsrate. Das iranische Statistikamt gibt für das laufende Jahr eine Inflation von 33 Prozent an. Zum Vergleich: In den persischen Golfstaaten liegt die Inflation im Jahr 2024 laut Trading Economics zwischen 0,4Prozent (Bahrain) und 3,4 Prozent (Kuwait). Doch unter der Herrschaft der Islamischen Republik ist Iran, trotz seiner fruchtbaren Böden und immensen Ressourcen, mit einer erschütternden Inflationsrate von 39.2 Prozent belastet – fast zwanzigmal so hoch wie in den benachbarten Staaten!

Inflation Rate
TRADING ECONOMICS – Dezember 2023

Für eine wachsende Zahl von Iranern gleicht der Traum vom eigenen zuhause einem unerreichbaren Wunsch. Während die durchschnittliche Wartezeit für den Erwerb von Wohneigentum in entwickelten Ländern zwischen vier und zehn Jahren liegt, hat sie sich in Teheran auf unfassbare 150 Jahre ausgedehnt. Noch ernüchternder ist die Tatsache, dass viele Menschen inzwischen nicht einmal mehr in der Lage sind, sich ein gebrauchtes, veraltetes Fahrzeug zu leisten. In einem Markt, der von zwei staatlichen Automobilherstellern monopolisiert wird, sind die Preise abrupt um bis zu 30 Prozent gestiegen. Dadurch verlieren selbst die Ersparnisse mehrerer Jahre jegliche Kaufkraft.

Diese Situation ist lediglich ein Symptom einer weitaus umfassenderen Krise, die das Land erfasst hat. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht mehr in der Lage, auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse zu decken. Die offiziell gemeldete Inflationsrate von 39.2 Prozent steht in scharfem Widerspruch zu den realen Bedingungen des iranischen Marktes, wo die Preise für einige Güter und Dienstleistungen um bis zu 300 Prozent gestiegen sind. Diese alarmierende wirtschaftliche Lage, gepaart mit zunehmendem sozialem und kulturellem Druck, sendet ein deutliches Signal für die gefährdete Zukunft des Landes. Internationale Analysten warnen, dass der Iran, sollte sich dieser Trend fortsetzen, unaufhaltsam auf einen sozialen und wirtschaftlichen Kollaps zusteuert.

Selbst wenn man die offiziellen Zahlen des Regimes akzeptiert, bleibt der Iran in Bezug auf den sogenannten Misery Index (Elends-index) – der Arbeitslosen- und Inflationsrate kombiniert – konstant an der Spitze. Ein Regime, das trotz bewusster Manipulationen und Neuinterpretationen von Definitionen den monatlichen Mindestlohn auf lediglich sieben Millionen Toman (ungefähr 100 Euro) festsetzt, während es die Armutsgrenze bei 30 Millionen Toman (etwa 400 Euro) einordnet, institutionalisiert und legalisiert die Verarmung seiner eigenen Arbeitskräfte. Es hält systematisch einen großen Teil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze gefangen.

Experten weisen darauf hin, dass bestimmte Indikatoren miteinander verknüpft sind. So zeigt sich etwa das Elend oft mit Verzögerung in der Kriminalitätsrate oder bei Selbstmorden. Doch das Elend, das die Islamische Republik prägt, geht weit über das hinaus, was Ökonomen vorhergesagt haben. Es liegt an Ihnen, ob Sie sich auf die offiziellen Zahlen verlassen oder die direkten Berichte aus den Straßen Irans hören.

Der Elend-Index im Iran, der eine ökonomische Kennzahl ist, hat inzwischen menschliche und soziale Dimensionen angenommen. Dieses Elend zeigt sich besonders in Zeiten, in denen Nachrichten über Selbstmorde von Kindern im Iran die Runde machen. Selbstmorde, die durch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Belastungen bedingt sind und mittlerweile zu einem alarmierenden Phänomen geworden sind.

In den letzten fünf Jahren sind mindestens 196 Kinder unter 18 Jahren im Iran durch Selbstmord ums Leben gekommen. Die Hauptursachen für diese Tragödien sind Armut, wirtschaftlicher Druck, Zwangsheirat, das Auferlegen des Hijabs und familiäre Konflikte, (die zum größten Teil durch die wirtschaftliche Notlage bedingt sind). Diese Zahlen sind nicht offiziell, und viele Fälle bleiben der Öffentlichkeit verborgen. Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt betont, dass die wirtschaftlichen Belastungen und die erzwungenen Gesetze die Kinder im Iran an den Rand der Verzweiflung treiben.

Vor weniger als einem Monat beging Arezoo Khavari, ein 16-jähriges Mädchen aus der Stadt Rey, Selbstmord, nachdem sie mit der Drohung konfrontiert wurde, wegen des Tragens von Jeans aus der Schule geworfen zu werden. Ein gleichgültiger und ungeduldiger Betrachter mag dies als eine spontane Reaktion eines unter Druck stehenden Kindes abtun, doch er übersieht das tief verwurzelte Leid und die Ansammlung von belastenden Faktoren, die den jungen Menschen in ihrer Lebensrealität auferlegt werden. Das Elend, ist das Leiden der 16-jährigen Arezoo.

Elend – das ist die bittere Realität der Geschichte von Mohammad, einem 11-jährigen Jungen. Mohammad Mousavi-Zadeh aus Bushehr nahm sich das Leben, weil seine Familie nicht in der Lage war, ein Handy zu beschaffen, um die von der Schule vorgeschriebene Bildungs-App „Shad“ zu nutzen.

Mohammad Mousavi-Zadeh
Mohammad Mousavi-Zadeh

Diese App war eine Voraussetzung für die Teilnahme am Schulunterricht, und die Familie konnte sie sich nicht leisten. Die Bedeutung des Namens „Shad“ (auf Persisch „fröhlich“) macht den Schmerz dieser Tragödie noch deutlicher.‌ Wie bitter und gleichzeitig symbolisch für die Situation der Menschen im Iran!

ls Mohammad, erst 11 Jahre alt, sich von der größten Erdgasquelle der Welt sein Leben auf diese erschütternde Weise beendete, standen wir, die Mitarbeiter der Petrochemie in Iran, als direkte Zeugen dieses immensen Reichtums, nur wenige Kilometer entfernt von seinem Dorf, voller Trauer und Wut da. Wir sagten:‌

„Wir sind alle Arbeiter Palästinas und Opfer des palästinensischen Ideals, und der Schatz (Gas) von Assaluyeh, gehört Hassan Nasrallah.“

Als der Autor dieser Zeilen erkenne ich das Elend dort, wo ich gesehen habe, wie mein älterer Kollege, ein Fachmann, der kurz vor der Pensionierung stand, voller Verzweiflung über das Nachdenken einer Migration war. Er dachte vermutlich, dass er mit einem niedrigen bezahlten Job im Ausland zufrieden sein konnte. Diese Situation erinnerte mich an die erzwungene Vertreibung der Juden. Der Iran unter der Herrschaft der Islamischen Republik steckt in einem weiteren, wirtschaftlichen und sozialen „Holocaust“, in dem die Krisen nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch sozialer und menschlicher Natur sind und ihren Höhepunkt erreicht haben. In diesem wirtschaftlichsozialen Holocaust sind Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Belastungen so groß geworden, dass viele Iraner in allen Altersgruppen beginnen, über Selbstmord oder die Flucht aus dem Land nachzudenken.

Die genaue Untersuchung des Ursprungs des persischen Begriffs für „Misery“ (Falakat) führt zu aufschlussreichen Erkenntnissen. Dieses Wort stammt von „Falak“ ab, einer besonders grausamen Form der Körperstrafe, bei der die Füße einer Person gefesselt und nach oben gehalten werden. In einigen Fällen werden die Füße zusätzlich mit Wasser nass gemacht, bevor mit einer Peitsche oder einem Holzstock auf die Fußsohlen geschlagen wird. Das verwendete Holz konnte aus einem Granat-äpfelzweig bestehen, was den Schmerz noch unertraglicher machte.

Obwohl der „Felakat“ Elends-Index in der Wirtschaft eine „Situation“ beschreibt, die in ihren Höhen und Tiefen mit dem Leben vergleichbar ist und daher zu Geduld raten kann, hat dieser Begriff für die Iraner eine tiefere Bedeutung. Er erinnert sie nicht nur an eine schwierige Situation, sondern auch an eine Form von Folter, die durch einen äußeren, direkten Faktor verursacht wird. Die Islamische Republik unterwirft das Volk einer systematischen Unterdrückung und Qual.

Es ist eine tief empfundene Ungerechtigkeit und ein unvergesslicher Schmerz für die leidenden Menschen im Iran, dass einige oppositionelle Aktivisten im Westen das Thema nur auf den Hijab der Frauen oder das Missmanagement des Regimes reduzieren und Reformen des Regimes als Lösung anbieten.

von: Reza Digari

Iran im Diskurs – Nr. 3 – Dezember 2024

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