Die Rolle des Kopftuchzwangs in der Machterhaltung der Islamischen Republik Iran
Seit über vier Jahrzehnten zählt der Kopftuchzwang zu den umstrittensten Elementen der Sozialpolitik der Islamischen Republik Iran. Viele Beobachter betrachten ihn als eine Art „Berliner Mauer“ des Regimes – als Symbol der Trennung zwischen Staat und Gesellschaft, dessen Fall das Ende des Systems einleiten könnte.
In Wirklichkeit jedoch deutet vieles darauf hin, dass der Kopftuchzwang kein Hindernis, sondern vielmehr ein Instrument der Kontrolle und Machterhaltung ist. Das Regime hat es über Jahrzehnte hinweg verstanden, mithilfe dieser Vorschrift die gesellschaftliche Stimmung zu steuern – mal strenger, mal lockerer – und dadurch ein künstliches Gleichgewicht zwischen den scheinbar rivalisierenden politischen Lagern zu schaffen.
Der Mechanismus von Druck und Scheinreform
Immer dann, wenn der Druck auf die Bevölkerung – sei es wirtschaftlich, sozial oder politisch – zunahm, traten Vertreter der sogenannten „Reformbewegung“ auf den Plan und versprachen eine Öffnung, mehr Freiheiten, eine mildere Auslegung der Regeln. Doch diese Zugeständnisse blieben stets kontrollierte Ventile, um Unzufriedenheit abzuleiten, nicht um echte Veränderung einzuleiten.
Das Pendelspiel zwischen Lockerung und Repression diente somit der Stabilisierung des Systems: Der Kopftuchzwang wurde zum Ventil, mit dem das Regime seine eigene Legitimität immer wieder künstlich regenerierte.
Taktischer Kurswechsel: Informelle Aufhebung zur Krisenabwehr
In der Gegenwart, angesichts wachsender innenpolitischer Spannungen und internationaler Isolation, zeigt sich eine neue Taktik: die inoffizielle Aufhebung der Kleiderordnung. Diese Entwicklung ist kaum als Zeichen echter Liberalisierung zu verstehen, sondern vielmehr als Versuch, eine gesellschaftliche Explosion zu verhindern – insbesondere unter der jungen Generation, die weder an die Reformversprechen der Vergangenheit glaubt noch durch Angstpolitik eingeschüchtert werden kann.
Über das Recht auf freie Kleidung hinaus
Selbstverständlich gehört die freie Wahl der Kleidung zu den grundlegenden Menschenrechten jedes Bürgers. Doch gerade die junge Generation sollte sich bewusst machen, dass diese Freiheit allein nicht ausreicht, um ein normales Leben zu ermöglichen.
Geistige Ruhe, Planungssicherheit, wirtschaftliche Stabilität, physische und psychische Sicherheit – und letztlich die Bewahrung der Zukunft des Landes – sind ebenso fundamentale Rechte. Solange das gegenwärtige System besteht, bleiben sie unerreichbar.
Scheinliberalisierung als Überlebensstrategie
Die Erfahrung von Millionen Iranerinnen und Iranern im Exil zeigt: Soziale Freiheiten verlieren schnell ihren Ausnahmecharakter, sobald sie selbstverständlich werden. Entscheidend ist nicht allein, was man tragen darf, sondern wie man leben kann.
Daher gilt: Jede scheinbare Liberalisierung, die innerhalb eines Systems der Unterdrückung stattfindet, bleibt Teil desselben Machtspiels.
Das Kopftuch ist nicht die Berliner Mauer der Islamischen Republik – es ist ihr Spiegel.
Und ein normales Leben wird erst dann nach Iran zurückkehren, wenn ein politisches System entsteht, das auf dem Willen und der Würde des Volkes beruht.