Sattareh Farman-Farmaian: Wegbereiterin der Sozialarbeit im Iran
Einleitung
Sattareh Farman-Farmaian, geboren 1921 und gestorben 2012, war eine wegweisende iranische Sozialarbeiterin, Autorin und Aktivistin. Als Tochter eines Prinzen der Kadscharen-Dynastie und erste Iranerin mit einem Masterabschluss in Sozialarbeit an der University of Southern California prägte sie die Entwicklung professioneller Sozialarbeit im Iran. Ihr Leben spiegelt die tiefgreifenden politischen, sozialen und kulturellen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts wider. Von aristokratischen Traditionen über Reformpolitik bis zur Revolution und dem Exil. Ihre Autobiografie „Daughter of Persia“ zählt zu den bedeutendsten weiblichen Selbstzeugnissen über den Iran dieser Zeit.
Herkunft und Familie
Sattareh wurde 1921 in Shiraz geboren. Ihr Vater, Abdol Hossein Mirza Farmanfarma, war Prinz der Kadscharen-Dynastie. Als fünfzehntes von 36 Kindern wuchs sie in einem komplexen, patriarchalisch geprägten Haremshaushalt auf. Ihre Mutter war Massoumeh Khanum Tafreshi, die dritte von acht Ehefrauen ihres Vaters. Ihre Kindheit war von traditionellen Rollenerwartungen geprägt, gegen die sie sich früh behauptete.
Ausbildung und erste Erfahrungen in den USA
Nach dem Besuch der Tarbiat-Schule und der amerikanischen Mädchenschule in Teheran reiste sie 1943 in die Vereinigten Staaten. Ihr Schiff wurde unterwegs torpediert. Sie überlebte. Am Heidelberg College in Ohio studierte sie Soziologie, bevor sie 1948 als erste Iranerin den Master of Social Work an der University of Southern California erhielt. Im selben Jahr begann sie ihre Tätigkeit am International Institute in Los Angeles. Sie heiratete den indischen Filmstudenten Arun Chaudhuri. Ihre Tochter Mitra wurde 1949 geboren. 1952 trennte sich das Paar.
Internationale Sozialarbeit und Rückkehr nach Iran
Nach beruflichen Stationen in New York und Bagdad, unter anderem als Beraterin der UNESCO für nomadische Siedlungsprogramme, kehrte sie 1958 in den Iran zurück. Dort gründete sie die Tehran School of Social Work, die erste Fachschule für Sozialarbeit im Land. Die Schule bildete Sozialarbeiterinnen aus, förderte Frauenbildung und unterstützte Familienplanung in städtischen und ländlichen Regionen.
Aufbau der Sozialarbeit im Iran
Der Schah Mohammad Reza Pahlavi förderte ihre Arbeit persönlich, stellte finanzielle Mittel zur Verfügung und unterstützte ihre institutionellen Projekte. Auch Schahbanu Farah Pahlavi spielte eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung sozialer Einrichtungen. Unter ihrer Mitwirkung entstanden zahlreiche Community Welfare Centers in Teheran und anderen Städten. Diese Zentren boten Programme zur Alphabetisierung, Kindergesundheit, Ernährung und Frauengesundheit. Nach den Protesten von 1963 wurde sie von Premierminister Asadollah Alam beauftragt, Familien von getöteten Demonstranten zu identifizieren, um staatliche Unterstützung zu ermöglichen.
Internationale Anerkennung
Sattareh Farman-Farmaian war bis 1972 Vorstandsmitglied der International Association of Schools of Social Work und Vizepräsidentin der International Planned Parenthood Federation. Sie nahm an zahlreichen internationalen Konferenzen teil. Darunter die Forward Look Study, eine Sondermission nach China, die Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest im Jahr 1974, die Internationale Menschenrechtskonferenz in Teheran 1975 sowie die UN-Frauenkonferenz in Mexiko im Jahr 1976.
Nähe zur Monarchie und politische Haltung
Sattareh Farman-Farmaian war keine politische Monarchistin im ideologischen Sinn. Ihre gesamte Laufbahn war jedoch eng mit der monarchischen Ordnung verknüpft. Sie äußerte sich nie kritisch gegenüber der Pahlavi-Ära, sondern betonte den reformerischen Charakter des Schahs, insbesondere in Bezug auf Bildung und die Rolle der Frau. Ihre Arbeit verkörperte einen säkularen, westlich orientierten Reformgeist, wie ihn die Pahlavi-Ära unterstützte. Ihre Nähe zum Schah wurde nach der Revolution jedoch zur Bedrohung.
Islamische Revolution und Exil
Nach der Revolution von 1979 wurde sie verhaftet und beschuldigt, im Dienst imperialistischer Mächte gestanden zu haben. Die neue Regierung warf ihr vor, durch die Verteilung von Verhütungspillen in ihren Zentren Tausende potenzielle Kämpfer für die Islamische Revolution verhindert zu haben. Ihr wurde auch Zusammenarbeit mit Israel und dem Pahlavi-Hof unterstellt. Ein Todesurteil stand im Raum. Ayatollah Mahmud Taleghani, ein einflussreicher Kleriker, rettete sie durch seine Intervention vor der Hinrichtung. Kurz darauf verließ sie den Iran und emigrierte in die Vereinigten Staaten.
Von 1980 bis 1992 arbeitete sie im Sozialamt von Los Angeles County im Bereich Kinderfürsorge. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
1993 erhielt sie den Silver Achievement Award der Greater Los Angeles YWCA sowie Anerkennungen durch Stadt und Bezirk Los Angeles.
Publikationen und intellektuelles Erbe
Neben ihrer Autobiografie „Daughter of Persia“, die sie 1992 gemeinsam mit Donna Munker veröffentlichte, verfasste Sattareh Farman-Farmaian zahlreiche weitere Werke.
Bücher
Dar an suye divare Chin, 1977, ein persischer Reisebericht über China.
Piramune Ruspigari dar shahre Tehran, 1970, eine Studie über Prostitution in Teheran.
Kapitel in Sammelbänden
Broadening Muslim Tradition: Bringing Family Planning to Iran, in Courageous Pioneers, 2007.
Fachartikel und Berichte
Socio-cultural Aspects of Age at Marriage in the Middle East, 1978.
Early Marriage and Pregnancy in Traditional Islamic Society, 1975.
Children and Teachers, 1966.
Country Profile of Iranian Family Planning and Social Welfare, 1965.
Children’s Needs, 1960.
Social Work as Social Development: A Case History, 1997.
1997 gründete sie eine eigene Website zur Verbreitung ihrer Werke und zur Vernetzung mit der internationalen Fachwelt. Sie setzte damit einen visionären Impuls für eine fortschrittliche Erinnerungskultur m Exil.
Wichtige Zitate
- „Sozialarbeit bedeutet für mich, die menschliche Würde in jedem Winkel der Gesellschaft zu schützen und zu fördern.“
- „Bildung ist der Schlüssel zur Freiheit, und die Freiheit ist das Fundament für jede Reform.“
- „Ich habe mein Leben der Idee gewidmet, den Schwächsten eine Stimme zu geben und Hoffnung zu schenken.“
Lebensende und Vermächtnis
Nach einem Leben zwischen Reform, Verfolgung und Exil starb Sattareh Farman-Farmaian im Mai 2012 im Alter von 91 Jahren in Los Angeles. Ihre Lebensleistung bleibt unvergessen. Als Institutionenbauerin, Pionierin und Chronistin einer Zeit tiefgreifender Umbrüche hinterließ sie ein Werk von bleibender Bedeutung. In ihren Memoiren resümierte sie:
„Schon lange machte ich mich mit offenen Armen auf in die Welt, und ich bin sicher: Würde ich es noch einmal tun, ich würde es wieder tun.“
(Sattareh Farman-Farmaian, aus: Daughter of Persia)
Fazit
Sattareh Farman-Farmaian war eine Überzeugungstäterin der sozialen Reform im Rahmen der Monarchie. Ihre Arbeit stand im Zeichen von Bildung, sozialer Gerechtigkeit und internationalem Austausch. In enger Zusammenarbeit mit dem Schah und der Schahbanu trug sie maßgeblich zur Institutionalisierung der Sozialarbeit im Iran bei. Ihr Lebensweg steht für den Versuch, Modernisierung ohne Bruch mit der eigenen Kultur zu gestalten. Ihre Stimme hallt bis heute nach. In der iranischen Frauenbewegung, in der internationalen Sozialarbeit und im kollektiven Gedächtnis des Exils.
Quellen:
- https://www.cswe.org/centers-initiatives/kendall-institute/international-social-work-leader-review/previously-featured-social-work-leaders/sattareh-farman-farmaian/
- https://iranwire.com/en/special-features/61438/