von: Razieh Shahverdi
Das Gesetz „Unterstützung der Familie durch die Förderung der Kultur der Sittsamkeit und des Hijabs“, auch als „Gesetz über Sittsamkeit und Hijab“ bekannt, wurde nach langen und intensiven Diskussionen in den letzten Monaten schließlich im Sommer dieses Jahres vom Wächterrat der Islamischen Republik Iran verabschiedet. Es wurde dann zur Umsetzung der letzten Details und zur Weiterleitung an die Regierung an das Parlament übermittelt.
Dieses Gesetz, das bald vorläufig für eine Dauer von drei Jahren in Kraft treten soll, symbolisiert einen erschreckenden und dramatischen Rückschritt in den Bereichen der Menschenrechte sowie der individuellen und geschlechtlichen Freiheiten im Iran. Inmitten des weltweiten Schweigens und der Vielzahl an Nachrichten über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Iran wird dieses menschenfeindliche Gesetz eine neue Ära der Unterdrückung und Kontrolle in der Geschichte der Islamischen Republik einläuten – eine Ära, die selbst die düstere Zeit der 1980er Jahre kaum noch in den Schatten stellen wird.
Das Gesetz über Sittsamkeit und Hijab wurde zunächst von der Justizbehörde ausgearbeitet und im Mai 2023 der islamischen Republik vorgelegt. Diese billigte es mit Dringlichkeitsbeschluss und leitete es zur Weiterverarbeitung an das Parlament weiter. In den zahlreichen Hin- und Herbewegungen zwischen dem Parlament und dem Wächterrat wurden dann diverse Änderungen vorgenommen, unter anderem eine weitreichendere Betonung der Geschlechtertrennung an Universitäten, in staatlichen Institutionen, in Parks und sogar in der medizinischen Versorgung in Krankenhäusern.
Angesichts der Sensibilität der Thematik und der weit verbreiteten Ablehnung entschlossen sich die Abgeordneten, die Verabschiedung des Gesetzes aus der offenen Sitzung zu nehmen und es ausschließlich im Rechts- und Justizausschuss des Parlaments zu prüfen und zu verabschieden. Daher war es nicht einfach, Zugang zu der endgültigen Version des Gesetzes zu erhalten. Zum ersten Mal veröffentlicht die Organisation der Iranischen Liberalen Frauen (ILF) nun den vollständigen Text dieses menschenfeindlichen Gesetzes, einschließlich aller Änderungen, auf Farsi, Englisch und Deutsch.
Dieser Text umfasst insgesamt 71 Artikel, unterteilt in fünf Kapitel, die die Aufgaben der Exekutivbehörden, Organisationen, Institutionen und einzelner Bürger im Bereich der Sittsamkeit und des Hijabs festlegen und gleichzeitig harte Strafen für Verstöße gegen diese Vorschriften definieren.
Das Gesetz räumt staatlichen Institutionen weitreichende Befugnisse ein und verpflichtet sie, strikte Vorschriften für das Verhalten sowie die Kleidung der Bürger sowohl im physischen als auch im virtuellen Raum umzusetzen. Mehrere Ministerien, angefangen beim Ministerium für Kultur und islamische Führung bis hin zu Ministerien für Wissenschaft und Technologie, werden verpflichtet, das Verhalten und die Kleidung der Bürger zu überwachen. Ein besonders erschreckendes Beispiel findet sich in Artikel 28 des Gesetzes: Er verpflichtet die Polizei der Islamischen Republik Iran (Faraja), mithilfe von intelligenten Systemen, Kameras und Künstlicher Intelligenz diejenigen zu identifizieren, die sich nicht an den vorgeschriebenen islamischen Lebensstil halten. Außerdem soll diese Technologie zur Identifikation und Überwachung öffentlicher Orte eingesetzt werden, an denen Verstöße gegen das Gesetz begangen werden könnten – etwa Orte der Freizeit, Versammlungen und Einkaufszentren. Diese Maßnahmen führen nicht nur zu einer immer weitreichenderen Kontrolle durch den Staat über das Leben der Bürger, sondern stellen auch einen massiven Eingriff in ihre Privatsphäre dar. Der Einsatz von Technologien zur Überwachung und Aufzeichnung privaten Verhaltens schafft eine Atmosphäre der ständigen Angst und des Misstrauens, die das tägliche Leben der Menschen stark belasten wird.
Die Institutionalisierung der Frauenfeindlichkeit
Dieses Gesetz ist in all seinen Bestimmungen von Frauenfeindlichkeit durchzogen und zielt systematisch darauf ab, Frauen unter dem Vorwand der Wahrung von „Keuschheit“ und der Förderung der „Hijab-Kultur“ zu kontrollieren. Artikel 49 legt ausdrücklich fest, dass jede Frau, die „ihren Hijab ablegt“ und keinen Tschador, kein Kopftuch oder ähnliche Kleidungsstücke trägt, zunächst mit einer Geldstrafe belegt wird. Bei Wiederholung erhöht sich die Strafe und kann schließlich zu einer Gefängnisstrafe führen. Das Gesetz kriminalisiert somit die Entscheidungen von Frauen über ihren eigenen Körper und ihre Kleidung. Strafen werden für Handlungen wie „unangemessene Kleidung“ oder das „Ablegen des Hijab“ festgelegt, darunter Geldstrafen, Freiheitsentzug und der Entzug grundlegender Rechte. Solche Vorschriften schwächen nicht nur die Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen, sondern fördern die geschlechtsspezifische Diskriminierung, indem sie patriarchalische, islamische Normen gesetzlich verankern.
Überwachung und die Politisierung des gesellschaftlichen Lebens
Durch die Ermächtigung von Sicherheitskräften und sogar gewöhnlichen Bürgern, die Einhaltung dieser restriktiven Vorschriften zu überwachen und Verstöße zu melden, fördert dieses Gesetz eine Kultur der Kontrolle und des Misstrauens. Artikel 34 fordert bestimmte Personen – verheiratet, ohne Vorstrafen, mit einer Ausbildung im Bereich „Gebot des Guten und Verbot des Schlechten“ sowie mit praktischer Treue zum Islam und zur Verfassung der Islamischen Republik –, dokumentierte Berichte und Bildmaterial von Verstößen an spezielle Behörden weiterzugeben. Diese Bestimmung legalisiert Belästigung unter dem Deckmantel der „gesetzlichen Pflicht“ und setzt Bürger gegeneinander auf, indem sie sie dazu anhält, im Namen staatlich definierter Moralvorstellungen zu handeln. Dies greift tief in die Privatsphäre ein, zerstört soziale Strukturen und macht das Leben für die Bürger Irans unerträglich.
Einschränkung von Meinungsfreiheit und kultureller Produktion
Dieses Gesetz greift auch in kulturelle, bildungsbezogene und digitale Bereiche ein und schränkt künstlerische Arbeiten, akademische Freiheit und Online-Aktivitäten ein. Artikel 7 verpflichtet das Ministerium für Kultur und islamische Führung dazu, jegliche Genehmigung für Werke zu verweigern, die mit den Zielen dieses Gesetzes im Widerspruch stehen. Artikel 42 zwingt Online-Plattformen dazu, Überwachungsmechanismen einzurichten, um die Verbreitung von Inhalten zu verhindern, die „Nacktheit, das Ablegen des Hijab oder unangemessene Kleidung“ fördern. Bei Verstößen drohen den Plattformen erhebliche Geldstrafen.
Drakonische Strafen und eine Atmosphäre der Angst
Das Gesetz sieht strenge Strafen vor, darunter hohe Geldbußen, Haftstrafen und soziale Sanktionen wie Berufsverbote oder das Verbot, das Land zu verlassen. Artikel 48 regelt, dass jede Person, die in der Öffentlichkeit oder an Orten, die üblicherweise von Fremden eingesehen werden können – sei es physisch oder virtuell –, Nacktheit zeigt oder Kleidung trägt, die „gemeinhin als Nacktheit angesehen wird“, sofort von den zuständigen Behörden festgenommen und vor Gericht gebracht wird. Die vorgesehenen Strafen umfassen Freiheitsstrafen der vierten Kategorie (Haft von mehr als fünf bis zehn Jahren) oder Geldstrafen der dritten Kategorie in Höhe von einer Milliarde Rial (1.000.000.000) bis eineinhalb Milliarden Rial (1.500.000.000). Im Wiederholungsfall werden die Strafen auf Freiheitsstrafen von mehr als zehn bis fünfzehn Jahren oder Geldstrafen zwischen 1,5 und 2,8 Milliarden Rial (2.800.000.000) erhöht.
Die Vollstreckung dieser Maßnahmen obliegt den Sicherheitskräften der Islamischen Republik Iran (FARAJA) sowie allgemeinen und spezifischen Justizbeamten.
Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt und die Menschenrechte
Die durch dieses Gesetz auferlegte Uniformität ignoriert grundlegende individuelle Rechte und zeigt keinerlei Respekt für persönliche Überzeugungen oder kulturelle Unterschiede innerhalb der Gesellschaft. Artikel 41 sieht härtere Strafen für Personen vor, die über einen sozialen Einfluss oder eine gewisse Bekanntheit verfügen. Dies zielt auf die Unterdrückung abweichender Meinungen ab und schwächt die Meinungsfreiheit erheblich. Durch diese Maßnahmen verstößt das Gesetz gegen internationale Menschenrechtsstandards, einschließlich der Rechte auf Meinungs- und Religionsfreiheit sowie auf Privatsphäre. Es marginalisiert all jene, die nicht mit den staatlich erzwungenen Normen übereinstimmen, verschärft gesellschaftliche Spannungen und macht Iran zunehmend zu einem Land, das für seine Bürger unbewohnbar wird.
Doch worum geht es in diesem Gesetz genau?
Um die Tiefe der Problematik dieses Gesetzes vollständig zu verstehen, lohnt es sich, einen genauen Blick auf dessen Inhalte zu werfen:
Kapitel 1: Allgemeine Bestimmungen
Dieses Kapitel betont, dass die Familie das Fundament der Gesellschaft ist und bei der Gesetzgebung und politischen Gestaltung oberste Priorität genießen muss. Artikel 1 verbietet jegliche Form von Nacktheit, Unanständigkeit, das Ablegen des Hijabs sowie unangemessene Kleidung, sei es in der Öffentlichkeit oder im virtuellen Raum. Das Innenministerium ist verpflichtet, einen Ausschuss einzurichten, der die Koordinierung und Überwachung der mit Anstand und Hijab verbundenen Organisationen sicherstellt und jährliche Berichte an die zuständigen Behörden übermittelt.
Kapitel 2: Allgemeine Pflichten der Exekutivorgane
In diesem Kapitel werden alle Exekutivorgane verpflichtet, ihren Angestellten Schulungen zum islamischen, familienorientierten Lebensstil sowie zur Kultur von Anstand und Hijab anzubieten (Artikel 3). Zudem müssen sie Bewertungsmaßstäbe für Leistungen in diesem Bereich entwickeln und jährliche Programme zur Förderung von Anstand und Hijab erstellen (Artikel 4). Die Herstellung islamischer Kleidung wird als kulturelle Tätigkeit betrachtet und erhält Unterstützung sowie Steuerbefreiungen (Artikel 6).
Kapitel 3: Spezifische Pflichten der Exekutivorgane
Dieses Kapitel legt besondere Verantwortlichkeiten für verschiedene Ministerien und Organisationen fest:
- Das Ministerium für Kultur und islamische Führung: ist verpflichtet, keine Genehmigungen für Werke zu erteilen, die den Zielen dieses Gesetzes widersprechen, und soll die Produktion künstlerischer Werke fördern, die Anstand und Hijab thematisieren (Artikel 7).
- Die Rundfunk- und Fernsehorganisation: hat die Aufgabe, Programme zu produzieren, die Anstand und Hijab fördern, und dabei die Darstellung unangemessener Vorbilder zu vermeiden (Artikel 8).
- Das Bildungsministerium und das Ministerium für Wissenschaft: müssen entsprechende Schulungen in Schulen und Universitäten anbieten und die Einhaltung islamischer Kleidungsvorschriften überwachen (Artikel 10 und 11).
- Das Gesundheitsministerium: ist verpflichtet, Anstand und Hijab in medizinischen und akademischen Einrichtungen sicherzustellen (Artikel 12).
- Das Ministerium für Sport und Jugend: soll angemessene Kleidung im Sport fördern und Sportler auszeichnen, die Anstand und Hijab vorbildlich vertreten (Artikel 18).
- Das Ministerium für Kommunikation: hat die Verantwortung, einen sicheren und gesunden digitalen Raum zu schaffen und Unternehmen zu unterstützen, die die Kultur von Anstand und Hijab fördern (Artikel 22).
Weitere Ministerien und ihre Aufgaben zur Förderung der Kultur von Anstand und Hijab
Auch andere Ministerien haben in ihrem jeweiligen Bereich Aufgaben zur Förderung der Kultur von Anstand und Hijab übernommen. Dazu gehört das Ministerium für Industrie, Bergbau und Handel, dass die Überwachung von Herstellung und Vertrieb von Bekleidung sicherstellen muss (Artikel 20). Ebenso wird das Ministerium für Kulturerbe, Tourismus und Kunsthandwerk verpflichtet, den islamischen Tourismus zu fördern und die Einhaltung des Hijabs durch Touristen zu überwachen (Artikel 23).
Kapitel 4: Allgemeine Pflichten und soziale Verantwortung
In diesem Kapitel wird das Einhalten von Anstand und Hijab als Voraussetzung für die Einstellung, Beförderung und den Zugang zu Vorteilen in staatlichen sowie privaten Organisationen festgelegt (Artikel 32). Einzelpersonen und Institutionen sind verpflichtet, an der Förderung dieser Kultur mitzuwirken und Verstöße den zuständigen Behörden zu melden (Artikel 34 und 35). Auch die Öffentlichkeit kann über festgelegte Systeme Verstöße melden.
Kapitel 5: Straftaten und Verstöße
Dieses Kapitel definiert Vergehen im Zusammenhang mit der Verletzung von Anstand und Hijab und legt strenge Strafen fest. Dazu gehören:
- Die Zusammenarbeit mit ausländischen Akteuren zur Förderung von Verstößen gegen den Hijab und Anstand wird als Straftat betrachtet und mit Haftstrafen sowie Geldbußen geahndet (Artikel 36).
- Beleidigungen des Hijabs, die Förderung von Nacktheit und Unanständigkeit werden mit Geldstrafen und in einigen Fällen mit Haft geahndet (Artikel 37).
- Das Nichtbefolgen des Hijabs an öffentlichen Orten oder in sozialen Medien zieht Geldstrafen nach sich und wird bei Wiederholung mit härteren Strafen belegt (Artikel 49).
- Geschäftsinhaber, die die Missachtung des Hijabs fördern oder es zulassen, dass ihre Angestellten gegen den Hijab verstoßen, müssen mit Geldstrafen und bei Wiederholung mit Haftstrafen rechnen (Artikel 39 und 40).
- Online-Plattformen sind verpflichtet, die Verbreitung von Inhalten zu verhindern, die Nacktheit und Verstöße gegen den Hijab fördern. Bei Zuwiderhandlung drohen ihnen hohe Geldstrafen (Artikel 42).
Abschließende Worte
Der Gesetzentwurf „Schutz der Familie durch Förderung der Kultur von Anstand und Hijab“ markiert einen deutlichen Rückschritt in Bezug auf die Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und der Geschlechtergleichheit im Iran. Dieses Gesetz institutionalisiert Frauenfeindlichkeit, legitimiert Belästigung und gibt der Regierung übermäßige Kontrolle über persönliche Freiheiten. Ein solches Gesetz unterdrückt nicht nur Frauen, sondern bedroht auch die grundlegenden Freiheiten aller Bürger. Es ist entscheidend, dass die internationale Gemeinschaft und Menschenrechtsorganisationen dieses Gesetz verurteilen und die iranische Bevölkerung im Kampf für individuelle Rechte und soziale Gerechtigkeit unterstützen.