Hajar Tarbiat – Pionierin der Frauenbewegung und erste gewählte Senatorin des Iran
Hajar Tarbiat (1906–1973) gilt als eine der herausragendsten Persönlichkeiten der modernen iranischen Geschichte. Sie war eine Wegbereiterin der Frauenrechtsbewegung, eine bedeutende Pädagogin, eine angesehene Politikerin und eine engagierte soziale Reformerin während der Pahlavi-Ära. Als erste Frau, die durch Wahl in den Senat des Iran einzog, verkörpert ihr Lebensweg den Aufbruch iranischer Frauen in politische Verantwortung und gesellschaftliche Teilhabe.
Frühe Jahre und Ausbildung
Hajar Tarbiat wurde im Jahr 1906 in Istanbul geboren. Ihr Vater, Hossein-Gholi Tarbiat, war ein angesehener Beamter an der iranischen Botschaft im Osmanischen Reich. In der multikulturellen Atmosphäre Istanbuls absolvierte sie ihre Schulausbildung und erwarb umfassende Sprachkenntnisse. Neben ihrer Muttersprache Persisch sprach sie fließend Arabisch, Französisch und Englisch, ein Ausdruck ihrer internationalen Bildung und ihrer intellektuellen Weitsicht.
Rückkehr in den Iran und Beginn des gesellschaftlichen Engagements
Während ihres Aufenthalts in Istanbul lernte sie Mohammad-Ali Tarbiat kennen, einen prominenten Intellektuellen und überzeugten Vertreter der konstitutionellen Bewegung im Iran. Im Jahr 1922 heiratete sie ihn. Nach der Eheschließung kehrte das Paar in den Iran zurück und ließ sich in Täbris nieder, wo Hajar Tarbiats öffentliches Wirken seinen Anfang nahm.
Bildungspolitisches Wirken und Führungspositionen im Schulwesen
Im Jahr 1931 wurde Hajar Tarbiat zur Direktorin der Mädchenschule in Täbris ernannt. Ein Amt, das sie über ein Jahrzehnt mit großer Hingabe und pädagogischer Überzeugungskraft ausübte. Nach ihrer Versetzung nach Teheran übernahm sie die Leitung des renommierten Lehrerinnenseminars (Dar-ol-Moallemat) Pädagogisches Institut für Frauen, einer der zentralen Einrichtungen für die Ausbildung von Lehrerinnen im Land. 1935 wurde sie zur Vorsitzenden des Frauenverbandes (Kanoon-e Banoovan) gewählt, der sich landesweit für die gesellschaftliche Stärkung der Frauen einsetzte. Vier Jahre später, im Jahr 1939, wurde sie zur Direktorin des angesehenen Norbakhsh-Gymnasiums in Teheran ernannt, auch bekannt als die Amerikanische Schule, das unter ihrer Leitung zu einer der bedeutendsten Bildungseinrichtungen für junge Frauen avancierte.
Soziale Verantwortung und gesundheitsbezogene Initiativen
Im Jahr 1940, mit der Gründung des „Büros zur Unterstützung von Müttern und Neugeborenen“, wurde Hajar Tarbiat in den Vorstand dieser bedeutenden Einrichtung berufen. In ihrer Funktion sprach sie wiederholt im Parlament über grundlegende gesellschaftliche Themen wie die Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsversorgung, die Förderung der Jugendbildung, die Bekämpfung des Analphabetismus sowie den Schutz und die Achtung der Menschenrechte. Ihr gesellschaftspolitisches Wirken verband sie stets mit einem tiefen humanistischen und auf Aufklärung gegründeten Engagement.
Frauenorganisationen und internationale Netzwerke
Hajar Tarbiat war eine zentrale Figur in der Partei der Frauen Irans, die 1943 gegründet wurde. Zwei Jahre später wurde die Organisation in den Frauenrat Irans umgewandelt. 1944 reiste sie gemeinsam mit der renommierten Orientalistin Fatemeh Sayyeh in die Türkei, um dort Kontakte mit türkischen Frauenorganisationen zu knüpfen und an literarischen sowie kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen sie selbst als Rednerin auftrat. Damit setzte sie wichtige Impulse für die grenzüberschreitende Vernetzung frauenpolitischer Initiativen.
Amtliche Positionen im Staatsdienst
1950 wurde sie in das Innenministerium berufen und übernahm die Leitung der Abteilung für Soziale Angelegenheiten, ein einflussreicher Posten, über den sie konkrete Maßnahmen zur Unterstützung von Frauen und Familien einleitete. Sie war zugleich Generalsekretärin des Vorstands des Mutter-Kind-Hilfswerks sowie Präsidentin der Frauenhilfsvereinigung innerhalb der Organisation der Frauen Irans, einer Schlüsselinstitution im strukturellen Aufbau der Frauenförderung unter staatlicher Ägide.
Parlamentarische Laufbahn und Eintritt in den Senat
Im Jahr 1963 erreichte Hajar Tarbiat einen historischen Meilenstein: Sie wurde als eine der ersten Frauen überhaupt in das iranische Parlament gewählt und vertrat die Hauptstadt Teheran in der 21. und 22. Legislaturperiode. Ihre parlamentarische Arbeit war geprägt von einem unermüdlichen Einsatz für Frauenrechte, Bildungsgerechtigkeit und soziale Entwicklung.
Im Jahr 1971 ging sie schließlich als erste Frau in die Geschichte des Iran ein, die durch Wahl in den Senat aufgenommen wurde, ein Ereignis von nationaler Bedeutung. Dieses Amt bekleidete sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1973 mit Würde, Weitsicht und unerschütterlichem Engagement.
Übersetzte Werke und Förderung der Lesekultur
Hajar Tarbiat bereicherte die iranische Literaturlandschaft maßgeblich durch die Übersetzung mehrerer bedeutender Werke aus dem Englischen ins Persische. Zu ihren Übersetzungen zählen unter anderem „Die Tochter Montezumas“, „Die Schatzinsel“ sowie „Der weiße Kreis“. Mit diesen Übertragungen erweiterte sie nicht nur den literarischen Horizont, sondern förderte zugleich aktiv die Lesekultur unter iranischen Frauen. Ihre Arbeit ermöglichte einem breiten Publikum den Zugang zu internationaler Literatur und leistete einen wertvollen Beitrag zur kulturellen Bildung der Gesellschaft.
Auszeichnungen und Verdienste
Die Errungenschaften von Hajar Tarbiat in unterschiedlichen Bereichen gelten als bedeutende Meilensteine für die Frauen im Iran:
Erste gewählte Frau im Senat: Im Jahr 1971 wurde sie als erste Frau durch Wahl Mitglied des iranischen Senats.
- Pionierin im Bildungswesen: Sie leitete Mädchenschulen sowie ein Lehrerinnenseminar (Dār-ol-Moʿallemāt) und setzte sich nachhaltig für die Hebung des Bildungsniveaus von Frauen ein.
- Soziales und kulturelles Engagement: Sie war Mitglied des Vorstands des Mutter-Kind-Hilfswerks und hielt zahlreiche Reden zu Frauen- und Kinderrechten.
- Förderung literarischer Bildung: Ihre Übersetzung bedeutender Werke aus dem Englischen ins Persische trug wesentlich zur Verbreitung der Lesekultur unter iranischen Frauen bei.
Mit ihrem breitgefächerten Wirken auf sozialem, politischem und kulturellem Gebiet spielte Hajar Tarbiat eine herausragende Rolle bei der Förderung der Frauenrechte sowie bei der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung der iranischen Gesellschaft.
Dies zeigt sich insbesondere in folgenden Aspekten:
- Ermöglichung eines möglichst gewaltfreien und kostenschonenden Übergangs von der Islamischen Republik zu einem säkular-demokratischen System
- Freiwillige Einigung aller freiheitsliebenden Kräfte
- Unterstützung der Stimmen aus dem Inneren des Landes
- Gewinnung internationaler Unterstützung für die Zukunft Irans
- Organisation und Strukturierung der Phase nach dem politischen Wandel
- Einbindung aller politischen und zivilgesellschaftlichen Akteure, unabhängig von ideologischen Zugehörigkeiten
- Rückgewinnung von Hoffnung, Freiheit und menschlicher Würde für das iranische Volk
Institutionelle Veränderungen im Zusammenhang mit Hajar Tarbiat
- Bildungseinrichtungen: Einige der Schulen, die während der Pahlavi-Ära unter dem Namen Hajar Tarbiat oder unter ihrer Leitung betrieben wurden, erfuhren nach der Islamischen Revolution eine Umbenennung oder setzten ihre Tätigkeit unter neuen Namen fort. So wurde beispielsweise eine Schule, die vormals unter dem Namen „Farhad“ bekannt war, nach der Revolution in „Hajar-Schule“ umbenannt. Sie befindet sich in der Sohravardi-Straße in Teheran.
- Der Frauenverband und verwandte Organisationen: Der 1936 unter der Leitung von Hajar Tarbiat gegründete Frauenverband wurde nach der Revolution entweder aufgelöst oder in Institutionen überführt, deren Struktur und Zielsetzungen der sozial- und kulturpolitischen Linie der Islamischen Republik entsprechen.
Schicksal ihres Werks im Spiegel der Zeit
Im Zuge des tiefgreifenden kulturellen Paradigmenwechsels nach der Islamischen Revolution gerieten zahlreiche Werke und Verdienste Hajar Tarbiats, insbesondere in den Bereichen Bildung, Frauenrechte und soziales Engagement, zunehmend in Vergessenheit. Ihre visionären Beiträge, die einst das Fundament moderner gesellschaftlicher Entwicklungen mitprägten, erfuhren unter den neuen politischen Rahmenbedingungen kaum noch Beachtung. Dennoch haben in den letzten Jahren namhafte Forscherinnen und Forscher damit begonnen, ihre Rolle in der modernen iranischen Geschichte neu zu beleuchten. Dabei wurden einzelne Werke und Tätigkeiten einer kritischen Relektüre unterzogen, die ihren nachhaltigen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung des Landes erneut sichtbar macht.
Schlussbetrachtung
Obgleich Hajar Tarbiat im Jahr 1974 in Teheran verstarb und die politischen Umwälzungen der Islamischen Revolution nicht mehr miterlebte, blieb ihr Vermächtnis von den nachfolgenden ideologischen Verschiebungen nicht unberührt. In vielen Institutionen wurde ihr Name getilgt oder in veränderter Form weitergeführt. Doch ihr Wirken als eine der führenden Pionierinnen im Bereich der Frauenrechte und Bildung bleibt in der kollektiven Erinnerung der modernen iranischen Geschichte tief verankert. Hajar Tarbiat darf zu Recht als eine der maßgeblichen Gründungsfiguren der modernen iranischen Frauenbewegung gelten, eine Frau, deren visionäres Engagement auch heute noch richtungsweisend ist.
Quellen:
Iranian Women in Politics
https://fis-iran.org/women-center/pre-revolution-milestones/