Zhinus Nemat-Mahmoudi

Zhinus Nemat-Mahmoudi

Leben, Wissenschaft, Glaube und ein Tod im Schatten der Politik

Einleitung

Die zeitgenössische Geschichte Irans ist voller Persönlichkeiten, die zwischen Wissenschaft, Glauben und Politik gefangen waren. Eine dieser Figuren ist Zhinus Nemat-Mahmoudi, die erste Meteorologin Irans und ein herausragendes Mitglied der Bahá’í-Gemeinde. Sie war eine gebildete Frau, Wissenschaftlerin und gesellschaftlich engagiert. In den 1980er Jahren wurde sie von der Islamischen Republik Iran aufgrund politischer und religiöser Anschuldigungen hingerichtet. Ihr Tod war nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern auch ein Symbol für die Situation religiöser Minderheiten und die Stellung der Frauen in der Machtstruktur nach der Revolution von 1979.

Zhinus Nemat-Mahmoudi wurde 1929 in Teheran geboren. Ihr Vater, Nemat Nematzadeh, war in der Druck- und Gravurindustrie tätig, ihre Mutter Kamálieh Ejzachi arbeitete als Lehrerin. Die Familie war gebildet, aufgeschlossen und Anhängerin des Bahá’í-Glaubens. Sie legte großen Wert auf Bildung, insbesondere auf die Ausbildung von Mädchen. Dieses familiäre Umfeld weckte früh Zhinus’ Interesse an Wissenschaft und Forschung und ebnete ihren Weg zu einer akademischen Laufbahn.

Ausbildung und wissenschaftliche Laufbahn

Nach dem Abschluss der Sekundarschule studierte Zhinus an der Universität Teheran Physik. Sie gehörte zu den ersten Frauen, die in den Naturwissenschaften in Iran aufgenommen wurden, und schloss ihr Studium erfolgreich ab.

Anschließend spezialisierte sie sich auf Meteorologie und trat in den Dienst der Iranischen Wetterbehörde ein. Dort wurde sie als erste offizielle Meteorologin Irans bekannt.

In den 1960er Jahren leitete sie die Ausbildungsabteilung der Wetterbehörde und bildete eine neue Generation von Fachkräften aus. Zu ihren wichtigsten Projekten gehörten die Erstellung eines geografischen Atlas des Iran und die Förderung der Nutzung von Solarenergie. Sie lehrte zudem Physik und Atmosphärenwissenschaften an verschiedenen Hochschulen.

Wegen ihrer wissenschaftlichen Kompetenz und Führungsstärke galt sie als Pionierin und Symbol des wissenschaftlichen Fortschritts von Frauen im Iran.

Zhinus Nemat-Mahmoudi

Soziales und religiöses Engagement

Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit war Zhinus Nemat-Mahmoudi auch innerhalb der Bahá’í-Gemeinde Irans aktiv. Sie war Mitglied der Nationalen Geistigen Versammlung der Bahá’í Irans, die für die Leitung und Koordination der Bahá’í-Aktivitäten im ganzen Land verantwortlich war.

Vor der Revolution von 1979 konzentrierten sich ihre Aktivitäten auf Bildung und Kultur. Nach der Revolution und dem Beginn staatlicher Repressionen gegen die Bahá’í wurde diese Rolle jedoch zunehmend gefährlich und politisch.

Als die Bahá’í-Institutionen verboten und aufgelöst wurden, bemühte sich Zhinus gemeinsam mit anderen Mitgliedern, den Kontakt zwischen Bahá’í-Familien aufrechtzuerhalten und inhaftierte Gemeindemitglieder zu unterstützen. Diese Aktivitäten wurden von der Regierung als „illegale Organisation“ und „Verbindungen zu ausländischen Mächten“ ausgelegt.

Mit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 verschärfte sich die feindliche Politik gegenüber den Bahá’í. Hunderte Mitglieder wurden aus dem Staatsdienst entlassen, ihr Eigentum beschlagnahmt und ihre religiösen Aktivitäten verboten.

Auch Zhinus Nemat-Mahmoudi verlor ihre Stellung in der Wetterbehörde. Ihr Ehemann Houshang Mahmoudi verschwand im August 1980; später wurde berichtet, dass er hingerichtet worden war.

Im Dezember 1981 verhafteten Sicherheitskräfte die Mitglieder der Nationalen Geistigen Versammlung der Bahá’í, darunter auch Zhinus. Vor dem Revolutionsgericht wurden ihnen „Spionage für Israel“, „Beleidigung islamischer Heiligtümer“ und „Kontakte zu ausländischen Mächten“ vorgeworfen.

Es wurden keine Beweise oder unabhängigen Zeugenaussagen veröffentlicht. Zwischen Verhaftung und Hinrichtung lagen nur zwei Wochen; eine Verteidigung oder Berufung war nicht möglich.

Hinrichtung und Reaktionen

Am 27. Dezember 1981 wurde Zhinus Nemat-Mahmoudi zusammen mit sieben weiteren Mitgliedern der Nationalen Geistigen Versammlung in Teheran hingerichtet. Ihre Familie erfuhr erst Tage später inoffiziell von ihrem Tod. Der Leichnam wurde heimlich auf dem Bahá’í-Friedhof von Behesht Zahra beigesetzt.

Die Hinrichtung löste weltweit Empörung aus. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und die Vereinten Nationen forderten Aufklärung und ein Ende der Verfolgung der Bahá’í. Die islamische Regierung wiederholte jedoch ihre Anschuldigungen und bezeichnete die Opfer weiterhin als „Spione“ und „Agenten des Auslands“.

Zhinus Nemat-Mahmoudi

Ehrungen und Auszeichnungen

Obwohl Zhinus Nemat-Mahmoudi zu Lebzeiten keine staatlichen oder akademischen Preise erhielt, ist ihr Name heute mit mehreren wissenschaftlichen und moralischen Ehrungen verbunden:

  1. Erste Meteorologin Irans:
    Sie war die erste Frau, die professionell in der Meteorologie des Iran arbeitete und bis zur Ausbildungsleitung der Behörde aufstieg.
  2. Mitarbeit am Geografischen Atlas des Iran:
    Sie trug zur Erstellung und Redaktion des ersten wissenschaftlichen Atlas des Landes in den 1960er Jahren bei.
  3. Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Wetterbehörde:
    Als Lehrende und Ausbilderin prägte sie die Ausbildung zukünftiger Meteorologen und förderte die Stellung der Frauen in der Wissenschaft.
  4. Posthume Ehrungen:
  • 1983 erwähnte Amnesty International sie in einem Sonderbericht als Beispiel für religiöse Verfolgung.
  • 2018 ehrte das US-Repräsentantenhaus sie in der Resolution H.Res.274 als Symbol für „Mut und Glauben angesichts von Diskriminierung“.
  • 2021 würdigte die Bahá’í International Community (BIC) sie in einer Gedenkschrift als „Pionierin der Wissenschaft und Humanität im modernen Iran“.

Diese Auszeichnungen sind zwar nicht materiell, doch ihr ethischer und historischer Wert sichert Zhinus’ Platz als Vorbild für mutige, gebildete Frauen.

Die Hinrichtung von Zhinus Nemat-Mahmoudi war Teil einer umfassenden Politik der Islamischen Republik gegenüber religiösen Minderheiten. Seit 1979 wird der Bahá’í-Glaube als „abweichende Sekte“ und „Agent Israels“ diffamiert. Seine Anhänger wurden systematisch entrechtet.

Der Fall Zhinus war Teil eines größeren Plans, die organisatorische Struktur der Bahá’í-Gemeinde zu zerstören. Nationale und lokale Gremien wurden aufgelöst, ihre Mitglieder verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Ziel war es, eine religiöse Organisation zu beseitigen, die mit der neuen ideologischen Ordnung unvereinbar schien.

Zudem spielte ihr Geschlecht eine Rolle: Zhinus war eine gebildete, unabhängige Frau und religiöse Führerin – drei Eigenschaften, die im neuen Machtgefüge als Bedrohung galten. Ihr Tod symbolisierte daher sowohl religiöse als auch geschlechtsspezifische Diskriminierung im Iran.

Vermächtnis und Gedenken

Heute gilt Zhinus Nemat-Mahmoudi als erste Meteorologin Irans und als eine der bekanntesten Opfer religiöser Verfolgung in der jüngeren Geschichte.

Im Ausland wird ihr Name in Menschenrechtsberichten, internationalen Resolutionen und historischen Studien über die Unterdrückung der Bahá’í erwähnt. In den letzten Jahren wurde sie von Organisationen, die sich für Religionsfreiheit und Frauenrechte einsetzen, als Symbol für wissenschaftlichen Mut und Glauben gegenüber Fanatismus geehrt.

Im Iran selbst wird aufgrund von Zensur und staatlicher Einschränkungen kaum öffentlich an sie erinnert. Dennoch bleibt ihr Platz in der Erinnerung der Bahá’í-Gemeinde und in der Geschichte der iranischen Wissenschaft erhalten.

 

Quellen:

  1. https://iranpresswatch.org/post/12688/50-iranian-women-you-should-know-jinous-nemat-mahmoudi/
  2. https://iranwire.com/en/women/122241-iranian-influential-women-zhinoos-nemat-mahmoudi-1929-1981/
  3. https://iranbahaipersecution.bic.org/archive/iranwire-anniversary-execution-jinous-mahmoudi-irans-first-female-meteorologist

von: Leila Dehghan

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