Medien als Munition

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Wie ein israelischer Bericht Teherans Folterpropaganda befeuerte

Von der Regierungskritik in Israel zur Rechtfertigung von Folter im Iran – der Fall Amir Hosseini Mousavi

Am 3. Oktober 2025 veröffentlichte die israelische Zeitung Haaretz einen Artikel mit dem Titel „The Israeli Influence Operation in Iran: Pushing to Reinstate the Shah Monarchy“. Das Blatt, bekannt für seine kritische Haltung gegenüber der israelischen Regierung, behauptete darin, israelische Akteure hätten über soziale Medien Einflusskampagnen in persischer Sprache betrieben – mit dem Ziel, monarchistische Ideen im Iran zu stärken und Reza Pahlavi, den Sohn des letzten Schahs, als Symbolfigur zu fördern.

Der Artikel war innerhalb Israels als Regierungskritik gedacht. Haaretz wollte damit aufzeigen, dass die israelische Regierung und mit ihr verbundene Netzwerke möglicherweise verdeckt in iranische Online-Diskurse eingreifen. Doch außerhalb Israels, insbesondere in Teheran, wurde die Veröffentlichung völlig anders interpretiert – und bewusst instrumentalisiert.

Die Islamische Republik Iran griff den Haaretz-Artikel propagandistisch auf, um ihre altbekannte Erzählung von einer „zionistischen Verschwörung“ zu stützen. In den Tagen nach der Veröffentlichung zitierten iranische Staatsmedien den Artikel mehrfach und präsentierten ihn als angeblichen Beweis dafür, dass Gegner des Regimes – insbesondere Anhänger Reza Pahlavis – „Werkzeuge Israels“ seien.

Nur wenige Tage später folgte ein inszeniertes „Geständnis“, das den Kern dieser Propaganda bildete.

Amir Hosseini Mousavi
Amir Hosseini Mousavi

Der iranische Aktivist Amir Hosseini Mousavi wurde bereits vor rund einem Jahr festgenommen. Er soll unter dem Pseudonym James Bidin auf Twitter (heute X) regierungskritische Inhalte veröffentlicht und Reza Pahlavi unterstützt haben. Seit seiner Verhaftung sitzt er im Evin-Gefängnis in Teheran.

Anfang Oktober – kurz nach der Veröffentlichung des Haaretz-Artikels – zeigte das iranische Staatsfernsehen ein „Geständnis“ Mousavis. In dem Video erklärte der sichtlich gezeichnete Gefangene, er habe „von Israel Geld erhalten, um für Reza Pahlavi zu werben“.

Doch entscheidend ist: Die Sprecher der Sendung bezogen sich dabei ausdrücklich auf den Artikel aus Haaretz.

Das Regime stellte Mousavis angebliches Geständnis als Beweis dafür dar, dass selbst internationale Medien Israels Einfluss auf iranische Oppositionelle bestätigt hätten. Diese Verknüpfung diente eindeutig propagandistischen Zwecken.

Die Widersprüche sind jedoch offensichtlich. Mousavi befand sich bereits während des zwölftägigen Iran-Israel-Kriegs im Gefängnis – zu jener Zeit also, in der er laut Anklage „für Israel gearbeitet“ haben soll.

Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem klassischen Beispiel eines erzwungenen Geständnisses unter Folter.

Während des Kriegs und der darauf folgenden Repressionswelle wurden nach offiziellen iranischen Angaben mehr als 12.000 Menschen unter dem Vorwurf der „Propaganda“ oder „Zusammenarbeit mit Israel“ verhaftet. Viele von ihnen wurden in Schnellverfahren verurteilt oder hingerichtet.

Der Fall Mousavi ist deshalb exemplarisch: Ein ausländischer Medienbericht, ursprünglich als investigative Regierungskritik in Israel gedacht, wird im Iran zu einem Werkzeug der Unterdrückung.

Das Regime nutzt die Schlagzeilen, um Gewalt und Folter ideologisch zu rechtfertigen – und dabei internationale Glaubwürdigkeit zu simulieren.

Der Haaretz-Artikel zielte darauf ab, mutmaßliche israelische Einflussoperationen offenzulegen. Doch seine Veröffentlichung ohne ausreichende Kontextualisierung ermöglichte es Teheran, den Bericht umzudeuten und für Repressionen zu missbrauchen.

Das wirft eine größere Frage auf: Welche Verantwortung tragen Medien, wenn ihre Berichte in autoritären Staaten als Vorwand für Folter, Geständnisse oder Hinrichtungen genutzt werden?

Kritischer Journalismus bleibt unverzichtbar. Doch in einer vernetzten Welt, in der Informationen sofort über Grenzen hinweg manipuliert werden können, ist Sorgfalt entscheidend. Ein investigativer Bericht kann zum lebensgefährlichen Instrument werden, wenn er in den Händen eines Regimes landet, das Wahrheit als Waffe benutzt.

Der Fall Amir Hosseini Mousavi zeigt die düstere Seite globaler Informationsströme: Ein israelischer Artikel über angebliche Online-Kampagnen wird im Iran zur Begründung für Folter und Zwangsgeständnisse.

Die Verantwortung für solche Gräueltaten liegt in erster Linie beim islamischen Regime in Teheran. Doch auch jene, die internationale Berichte ohne Kontext verbreiten oder ausschlachten, tragen einen Teil der moralischen Last.

Denn in einem Land, in dem ein Tweet zum Todesurteil führen kann, können Worte – und Schlagzeilen – tödlich sein.

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