1979: Wie die Revolutionäre den Iran in den Abgrund stürzten

Veröffentlichungsdatum: 2025-03-03

Nr4 Iran im Diskurs - Sonderausgabe

Editorial

Die Revolution von 1979 kann als eine der bedeutendsten Revolutionen der modernen Geschichte angesehen werden – und zwar aus dem Grund, dass es ihr gelang, die alten Strukturen zu zerschlagen, das bestehende soziale und politische System zu stürzen und ein neues an seine Stelle zu setzen. Dieses Ereignis war, in gewissem Sinne, das Resultat der Gegnerschaft revolutionärer Kräfte – von Islamisten bis hin zu radikalen Linken – gegenüber der staatlichen Modernisierungspolitik der konstitutionellen Monarchie in all ihren Dimensionen.

Diese Gegnerschaft richtete sich unter anderem gegen den modernen Staat und das moderne Rechtssystem, das einige der wichtigsten Bürgerrechte gewährleistete – darunter die Freiheit der Frauen und die Rechte religiöser Minderheiten. Ebenso wandte sie sich gegen die moderne internationale Ausrichtung des Landes, die den Iran zu einem bedeutenden und einflussreichen Akteur in der bipolaren Weltordnung jener Zeit machte, seine Wirtschaft in die globale Ökonomie integrierte und das Land auf den Weg zu nachhaltiger Entwicklung führte. Gemäß den umfassenden Entwicklungsplänen der konstitutionellen Monarchie sollte nach der relativen Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung auch die politische Entwicklung folgen. In den Worten des renommierten Soziologen Seymour Martin Lipset: ‚Je wohlhabender eine Nation, desto größer sind die Chancen, dass sie die Demokratie aufrechterhält.‘  (Link: https://www.jstor.org/stable/1951731)

Die revolutionären Kräfte betrachteten die internationalen Beziehungen der iranischen Monarchie durch das Prisma ihres antiimperialistischen Weltbildes und werteten sie als Ausdruck einer Abhängigkeit vom westlich geführten Imperialismus. Daher strebten sie die Errichtung eines antiimperialistischen und ideologisch geprägten Systems an, in dem eine staatlich gelenkte Wirtschaft, eine islamische oder marxistische Ideologie und internationale Isolation als zentrale Werte definiert wurden. Genau zu diesem Ergebnis führte die Revolution von 1979. Alles, was in den Jahren nach der Revolution geschah, war – entgegen den Behauptungen der Revolutionäre  – keineswegs eine „Abweichung“ vom ursprünglichen Kurs, sondern vielmehr die Verwirklichung jenes Projekts, für das sie gekämpft hatten: die Zerstörung moderner Institutionen, die Ersetzung professioneller Bürokratie durch ideologische Strukturen und die Umwandlung des Iran in ein Zentrum der Exportrevolution und des permanenten Widerstands gegen die – aus ihrer Sicht – imperialistische Weltordnung.

Diese Revolution war jedoch – entgegen der Ansicht der Revolutionären kein unausweichliches Schicksal. Anders als von vielen Linken und später reformorientierten Islamisten suggeriert, war die Revolution kein unvermeidlicher „Prozess des Werdens“, sondern ein bewusstes „Handeln“. Die Revolutionäre haben allesamt bewusst und zielgerichtet auf den Sturz der konstitutionellen Monarchie hingearbeitet. Einige strebten die Errichtung der „Herrschaft Gottes“ an, andere die „Macht des Volkes“ und wiederum andere propagierten antiimperialistische Parolen – doch alle vereinte das Ziel, ein Regierungssystem zu stürzen, das sich auf den Weg der wirtschaftlichen und politischen Modernisierung des Landes gemacht hatte. Sie zerstörten ein System, das – trotz seiner Unvollkommenheiten – den Iran in allen Bereichen modernisierte und brachten stattdessen ein Regime an die Macht, das das Land von der Entwicklung und Modernisierung abbrachte und reaktionäre Gesetze durchsetzte.

Über Jahre hinweg war   kollektive Denkweise im Iran von einer Mischung aus Fatalismus, Verschwörungstheorien und   geprägt. Manche betrachteten die Revolution als das Ergebnis einer Verschwörung der Großmächte, andere glaubten, der Schah sei aufgrund seiner Abhängigkeit vom Westen gezwungen gewesen, die Macht abzugeben. Doch diese Erzählung wird heute zunehmend infrage gestellt. Die Iraner haben ein neues Verständnis ihrer Vergangenheit entwickelt. Sie erkennen nicht nur den Fehler der Revolution von 1979 an, sondern betrachten ihn als Folge ihrer eigenen Entscheidungen. Diese Einsicht, dass die Gesellschaft selbst Verantwortung für die Katastrophe trägt, ist Ausdruck einer Reifung – einer Reifung, die das Land nicht länger an die Vergangenheit fesselt, sondern aus ihr lernen will. Was heute im Iran geschieht, ist nicht nur eine Ablehnung der Islamischen Republik, sondern auch eine Ablehnung all dessen, was die Revolution von 1979 dem Land gebracht hat.

In den vergangenen Jahren haben auch viele versucht, zwischen der Islamischen Republik und dem Prinzip der Revolution zu unterscheiden. Ihrer Meinung nach war die Revolution „gut“, aber die nachfolgende sei fehlgeleitet worden, und die heutige Herrschaft sei nicht mehr mit dem ursprünglichen „Geist der Revolution“ vereinbar. Doch auch diese Vorstellung verliert in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend an Bedeutung. Die Iraner sind zu der Erkenntnis gelangt, dass das Problem nicht nur im islamischen  Regime, das aus der Revolution hervorging, liegt, sondern im gesamten Weg, der seit 1979 eingeschlagen wurde. Aus ihrer Sicht war die Revolution ein völliger Fehlschlag – nicht nur wegen dessen, was sie hervorgebracht hat, sondern vor allem wegen dessen, was sie zerstörte. Die Anerkennung dieses Scheiterns ist der Ausgangspunkt für eine nationale Erneuerung. Dieses historische Bewusstsein ist die wahre Kraft der heutigen iranischen Gesellschaft. Anders als frühere Generationen, die entweder die Revolution rechtfertigten oder auf Reformen hofften, ist die heutige Generation zu der klaren Überzeugung gelangt, dass der Iran zu seinem unterbrochenen Entwicklungsweg zurückkehren muss – und genau das ist die wahre Hoffnung für die Zukunft dieses Landes.

Während die Iraner die Illusionen von 1979 hinter sich gelassen haben, gelingt es dem Westen weiterhin nicht, dieses Ereignis vollständig zu verstehen. Viele westliche Analysten betrachten die Revolution von 1979 noch immer als eine Reaktion auf die „Diktatur des Schahs“, ohne die Fortschritte der Pahlavi-Ära zu berücksichtigen. Andere deuten sie als einen „antiimperialistischen Aufstand“, ohne zu sehen, dass das Ergebnis dieses Aufstands die Errichtung eines Regimes war, das den Iran zu einem der größten Zentren globaler Krisen und zu einem Unterstützer des internationalen Terrorismus gemacht hat. Zudem ignoriert der Westen die gegenwärtige Bewertung der iranischen Bevölkerung, die die Revolution zunehmend als historischen Irrtum betrachtet, und bleibt bei der Wiederholung der revolutionären Erzählungen über die Monarchie. 

Die Revolution von 1979 war jedoch weder eine spontane demokratische Bewegung noch ein unaufhaltsamer Volksaufstand. Sie war vielmehr das Ergebnis eines lang vorbereiteten ideologischen Projekts. Viele westliche Beobachter vermögen bis heute nicht, den paradoxen Zusammenbruch der Pahlavi-nachzuvollziehen. Wie konnte ein Staat, der sich auf einem konsequenten Modernisierungs- und Entwicklungspfad befand, innerhalb weniger Jahre in den politischen Zerfall und sozialen Rückschritt abgleiten? Die Antwort darauf liegt weniger in strukturellen Defiziten oder systemischen Zwängen als vielmehr in den diskursiven Strategien und ideologischen Manipulationen jener Zeit. Das Scheitern der Monarchische Regierung war nicht das Resultat eines unausweichlichen historischen Determinismus oder externer Interventionen, sondern die Konsequenz einer erfolgreichen, gezielt konstruierten Gegen-Erzählung, die von Intellektuellen und Geistlichen gemeinsam vorangetrieben wurde. Diese Gruppen entwickelten eine ideologisch aufgeladene und in weiten Teilen fiktive Deutung der politischen Realität, die die tatsächlichen sozioökonomischen Fortschritte des Landes negierte und stattdessen ein Bild systematischer Unterdrückung und kultureller Entfremdung entwarf.

Durch die Verbreitung dieses Narratives gelang es den Schah-Gegnern, die Legitimität des monarchischen Systems zu untergraben. Entscheidend war dabei jedoch, dass sie den gesellschaftlichen Diskurs monopolisierten und die Modernisierung selbst als ein Projekt der politischen Entmündigung und kulturellen Entwurzelung brandmarkten. Diese ideologische Deutung überlagerte die realen Errungenschaften der Pahlavi– etwa die rechtliche Gleichstellung von Frauen, die Integration in die Weltwirtschaft und die schrittweise institutionelle Modernisierung – und verwandelte sie in Symbole der Abhängigkeit und Tyrannei. Dieser strategische Diskurswandel hatte weitreichende Konsequenzen: Er isolierte die von breiten Teilen der Gesellschaft, entwertete Reformbestrebungen als bloße kosmetische Maßnahmen und vereinte disparate oppositionelle Kräfte unter einer gemeinsamen, anti-modernen und anti-westlichen Programmatik. In diesem ideologischen Klima wurde die politische Autorität des Schahs nicht nur delegitimiert, sondern jegliche Möglichkeit einer evolutionären Reform diskreditiert.

Wer die Ursachen der islamischen Revolution in ihrer ganzen Tiefe erfassen möchte, darf sie nicht auf eine bloße Reaktion gegen autoritäre Herrschaft oder soziale Ungleichheit verkürzen. Vielmehr erfordert es eine sorgfältige Analyse der ideologischen Konstruktionen, die die politische Realität nicht nur widerspiegelten, sondern diese aktiv gestalteten und transformierten. Die islamische Revolution war somit keineswegs die unvermeidliche Folge struktureller Missstände, sondern das Resultat einer gezielt orchestrierten intellektuellen Offensive, die den Entwicklungspfad des Landes nicht nur infrage stellte, sondern ihn systematisch destabilisierte und zerstörte.

Möchte der Westen eine fundierte Analyse der heutigen Iran-Thematik erstellen, muss er zuerst die Wurzeln der Revolution von 1979 erkennen. Während die Iraner ihre Vergangenheit kritisch reflektieren, sollte auch der Westen die wahren Ursachen dieser Revolution verstehen. In dieser Ausgabe widmen wir uns eingehend den Wurzeln der Revolution und ihrer tiefgreifenden Auswirkungen auf den Iran und die Region.

Elahe Ramandi

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